Der Maßstab für den Handel ist die Verfügbarkeit der Produkte

Interview mit Lutz Mattelson, Expansionsleiter bei DECATHLON Deutschland

Als Michel Leclercq im Jahr 1976 bei Lille sein erstes Sportartikelgeschäft eröffnete, konnte er noch nicht ahnen, wie erfolgreich das junge Unternehmen unter dem Namen DECATHLON schon sehr bald sein würde. Zehn Jahre später stellte der Anbieter bereits eigene Sportartikel her und eröffnete das erste Geschäft außerhalb Frankreichs in Dortmund.

Es folgten Jahrzehnte stetigen Wachstums, sodass auch der Bedarf an leistungsfähigen Logistiklösungen kontinuierlich wuchs – aus Sicht DECATHLONS ein wesentlicher Teil der Wertschöpfungskette. Heute verfügt das Unternehmen über je ein Logistikzentrum in Schwetzingen und Dortmund. Derzeit baut DECATHLON seine Infrastruktur weiter aus –im VGP Park Berlin-Ludwigsfelde entsteht der dritte Logistikstandort des Sportartikelanbieters.

Im Interview spricht Lutz Mattelson, Expansionsleiter bei DECATHLON Deutschland, über das Erfolgsrezept, die Anforderungen an die Logistik und ihre Funktion innerhalb der Unternehmensstrategie.

Herr Mattelson, DECATHLON hat heute über 93.000 Mitarbeiter und rund 1.400 Filialen in mehr als 40 Ländern. Was ist das Besondere am Unternehmen? Womit haben die Gründer den Nerv getroffen, welcher spezifischen Nachfrage haben sie entsprochen?

Die Gründer aus den Familien Leclerq und Mullierz, die neben den Mitarbeitern auch heute noch Eigentümer des Unternehmens sind, hatten damals eine klare Vision: möglichst vielen Sportlern das beste Preis-Leistungsverhältnis anzubieten sowie einen Geist im Unternehmen zu etablieren, der von Vitalität, Verantwortung und Freiheit geprägt ist. Diese Werte sind auch nach rund 40 Jahren Kern der Entwicklung von DECATHLON. Deshalb folgen die Mitarbeiter weltweit einer einheitlichen Philosophie. Mit den Produkten, die wir als vertikaler Händler selber entwickeln, herstellen und vertreiben, wissen wir hundertprozentig, was wir verkaufen. Wir können dem Sportler das bestmögliche Produkt zum fairsten Preis anbieten. Das war eine Lücke, die in vielen Ländern wie etwa Deutschland noch nicht besetzt war. 

Wenn man mal von der Nische E-Sports absieht, bleibt Sport im Allgemeinen doch eine sehr physische Angelegenheit: Die Kunden möchten die Produkte anfassen, prüfen, ausprobieren. Was bedeutet das für DECATHLON in Zeiten des Online-Vertriebs? Mit welchem Mix stellen Sie sich heute auf? 

DECATHLON verfolgt schon seit Jahren eine hundertprozentige Omnichannel-Strategie. Das heißt: Wir bieten dem Kunden den Weg seiner Wahl zu seinem DECATHLON-Produkt: Stores in verschiedenen Größen und mit unterschiedlicher Fokussierung, E-Commerce, Click & Collect, Same-Day-Delivery. Diese enge Verknüpfung ist unser Vorteil. So kann sich der Sportler beispielsweise vor seinem Einkauf online informieren, sein Produkt anschließend im Store anfassen, auf den verschiedenen Testflächen ausprobieren und gern auch kaufen. Der „echte“ Härtetest findet aber nur beim Sporttreiben selber statt. Daher geben wir jedem Sportler ein 365-tägiges Rückgaberecht. So hat er Zeit, sich vom Produkt und unserem Preis-Leistungs-Versprechen zu überzeugen. Q Sie habe

Sie haben neben „regulären“ Filialen auch die so genannten Connect Stores mit einem reduzierten Präsenzangebot, dafür aber an strategisch günstigen, hochfrequentierten Lagen. Damit haben Sie die Zahl der Ladengeschäfte weiter erhöht. Was stellt das für besondere Ansprüche an die Logistik?

Grundsätzlich wollen wir unser StoreNetz „usercentric“ ausrichten. Das heißt, mit dem richtigen Konzept genau dort zu sein, wo die Sportler DECATHLON-Produkte brauchen. Ganz nah dran also. Bewegt vielleicht heute den Kunden das Bedürfnis nach dem großen Shoppingerlebnis mit Familie, bestellt er morgen dann seine Produkte online als Click & Collect und holt sie schließlich beim Umsteigen auf dem Weg zur Arbeit im nächstgelegenen DECATHLON Connect Store ab – oder tauscht sie dort um.

Wir bieten durch unsere unterschiedlichen Konzepte jedem den komfortabelsten Weg zum Produkt. Diese Infrastruktur zu schaffen, muss unsere Aufgabe sein – und nicht, wie man es noch heute sehr häufig im Handel sieht, als Problem des Kunden begriffen werden. Vor allem in großen Städten wie Berlin bilden wir ein Netzwerk. Produkte, die in den kleineren Stores nicht vorrätig sind, können am selben Tag aus anderen Filialen zum Wunschort des Kunden geliefert werden. Größere Stores dienen hier auch als eine Art Logistik-Hub.

Der Maßstab, der künftig an den Handel bzw. die Logistik angelegt wird, ist demzufolge, die Verfügbarkeit der nachgefragten Produkte in der vom Kunden gewünschten Zeit zu gewährleisten. Daher ist eine effizientere Verlinkung großer regionaler Logistikzentren mit lokalen LogistikHubs sowie einem verlässlichen Lieferservice für die letzte Meile unabdingbar für DECATHLON.

 Sie versprechen, Ihre Produkte von der Idee bis zum Verkauf zu begleiten. Sie leiten Ihre weltweit über 40 Logistikzentren selbst, auch die zwei – und mit Berlin-Ludwigsfelde demnächst drei – in Deutschland. Was steckt hinter dieser Philosophie? Warum ist Ihnen eine Logistik in Eigenregie so wichtig? Geht es da zuvorderst um Nachhaltigkeit? Oder um Kundennähe?  

Wir bewegen über unsere 40 Logistikzentren rund 800 Millionen Produkte in 70.000 Containern zu unseren Kunden. Die Logistik ist für uns ein ganz elementarer Bereich im Rahmen der gesamten Wertschöpfungskette und der Kundenzufriedenheit. Die Erfahrung zeigt uns, dass die Kernprozesse der Logistik in Eigenregie effizienter und qualitativ besser umgesetzt werden können als bei einer Auslagerung. Das führt unweigerlich zu einer größeren Flexibilität bei höherer Qualität. Und es garantiert uns, dass wir künftige Herausforderungen besser steuern können – und dass der Einzelhandel vor solchen steht, ist sicherlich unstrittig. Durch diesen Ansatz können wir perspektivisch noch näher am Kunden sein und seine Erwartungen in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Eine sehr gute Logistik in Eigenregie ist unser Rückgrat für die weitere Entwicklung.

Neben der Kundennähe fühlen wir uns auch dem Thema Nachhaltigkeit verpfl ichtet. Sport wird häufi g naturnah betrieben und setzt saubere Luft, sauberes Wasser und eine intakte Umwelt voraus. Von daher müssen Naturund Umweltschutz für uns von großer Bedeutung sein, nicht nur in der Logistik, sondern auch in der Produktion. Die Logistik kann hier wichtige Meilensteine setzen. So haben wir zum Beispiel im Lager in Schwetzingen eine Photovoltaikanlage installiert, die jährlich 437 Tonnen CO2 einspart. Auch beim Bau des neuen Verteilzentrums im VGP Park Berlin wird auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien gesetzt, und unsere Stores werden baulich bestmöglich unter Nachhaltigkeitsaspekten realisiert.

VGP wird für DECATHLON im VGP Park Berlin (Ludwigsfelde) ein neues Logistikzentrum mit einer Lager- und Bürofläche von insgesamt ca. 45.000 m2 errichten. Von dem südlich von Berlin
gelegenen VGP Park aus wird DECATHLON ab 2020 die Warendistribution für den ganzen Nordosten Deutschlands steuern.

Was ist Ihnen bei der Ausstattung eines Logistikzentrums besonders wichtig? Wie steht es etwa um die Flexibilität, ausbauen zu können und die Kapazitäten schnell einem veränderlichen Bedarf anzupassen? 

In Zeiten der knappen Marktlage bei Logistikimmobilien steht DECATHLON in Konkurrenz zu vielen anderen Unternehmen, auch hinsichtlich der Mitarbeiter. Daher stellen wir sehr stark das Wohl(fühlen) unseres Teams in den Vordergrund. Das heißt konkret: gute Erreichbarkeit mit dem ÖPNV oder ein Sportpark für kleine Matches in der Pause oder Teamevents. Wichtig ist zudem eine überdurchschnittliche Lichtdurchflutung der Halle durch einen höheren Flächanteil an Fenstern oder eine Industrie-Fußbodenheizung. Im Bereich der Mitarbeitersicherheit haben wir sicherlich höhere Ansprüche als üblich. Auch ist die Funktionalität selbstverständlich nicht zu vernachlässigen. Wer unsere DECATHLON Stores kennt, der weiß, dass wir sehr flexibel und modular aufgebaut sind. Dieser Ansatz findet sich auch in unseren Logistikzentren wieder. Die vertraglich gesicherten Optionen, das Gebäude zu erweitern oder Mezzanine einzuziehen, geben uns die Flexibilität, die wir Dieter Götte brauchen, um auf die Entwicklung im Handel allgemein und natürlich auch in unserer Expansion und im @-Store im Besonderen zu reagieren. 

Ein Blick in die Kristallkugel: Wo sehen Sie DECATHLON – abseits von Marktanteilen und Verkaufserfolgen – in drei oder fünf Jahren? Wo sehen Sie den Fachhandel generell? Welche Weiterentwicklungen des Logistikkonzepts könnten Sie sich vorstellen? 

Ich bin ein großer Verfechter des stationären Fachhandels. Über Jahrzehnte war er immer wieder mit neuen Einflüssen und neuen Verkaufskonzepten konfrontiert, die letztendlich zu einer Adaption auf allen Seiten geführt haben. Funktioniert haben die einzelnen Konzepte weiterhin, nur eben jeweils in angepasster Form. Genauso sehe ich das heute. Man muss aufhören, gegen Windmühlen zu kämpfen und den Online-Handel als „Gegner“ zu verteufeln. Es geht darum, sich konstruktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden. Vielleicht ist das die beste Gelegenheit, auch mal neue und mutige Wege zu gehen. Das machen wir zum Beispiel mit unseren DECATHLON Connect Stores – die Vorteile des stationären Fachhandels mit denen des Online-Handels zu verknüpfen. Und wir können für uns sagen: Es funktioniert.

Wir müssen unsere Produkte dem Kunden zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung stellen. Das wird in Zeiten des zunehmenden Online-Handels immer wichtiger. Um das zu bewerkstelligen, brauchen wir Automatisierung und Technisierung, sonst sind die Mengen über die verschiedenen Kanäle mittel- bis langfristig nicht mehr zu managen. In diesem Gleichklang verschiebt sich auch das Anforderungsprofil der Mitarbeiter: weg von der stupiden Picking-Tätigkeit und hin zum Prozessoptimierer. 

Was die Weiterentwicklung der Logistik angeht: Ich bin überzeugt, dass die Wertschöpfungsoptimierung von Handelsunternehmen zukünftig zu großen Teilen aus einer effizienteren und kundenzentrierteren Logistik kommen wird. Prozessoptimierung, Automatisierung oder Reduzierung nicht-kundenrelevanter Kosten sind nur einige Stichpunkte.

Zur Verbesserung des Warentransports nutzen wir seit diesem Jahr für einzelne Städte die Schiene als alternatives Transportmedium zwischen Logistik und Store – sowohl ökonomisch als auch ökologisch eine attraktive Alternative. Die letzte Meile bleibt weiterhin dem LKW vorbehalten. Darüber hinaus werden seit einigen Monaten sogar einige unserer europäischen Kontinentalläger direkt per Güterzug aus Asien beliefert. Für uns bedeutet das ein Plus an Flexibilität und somit Kundennähe. Nicht zu vergessen ist der ökologische Nutzen durch den Wegfall von Frachtschiffpassagen. Zwar sind die Liefermengen insgesamt kleiner, die flexible Verfügbarkeit der Produkte für die Kunden erhöht sich jedoch aufgrund einer erheblich kürzeren Transportdauer.